Die Weltveränderer?

Fridays for Future gibt es weltweit. Wie ensteht eine soziale Bewegung?

Von Cathrin Becker

Puh, erst mal durchatmen! 2019 ist überstanden – leicht war es nicht. Schulleitungen, Lehrkräfte, Eltern, Omas und Opas wissen das. So viel Streit und Stress war selten mit dem Nachwuchs. Eben noch die lieben Kleinen, mutieren sie plötzlich zu bitterernsten Klimaaktivisten und Schulstreikern. Und dann diese Fragen: Warum habt ihr nicht früher was getan? Warum lügt ihr? Warum ist euch unsere Zukunft egal?

Greta Thunberg und ihre Fridays for Future (FFF) haben letztes Jahr geprägt, wie Generationen zuvor die Welt. Mehrere Flugreisen im Jahr, tägliches Pendeln mit dem Auto, der leckere Kaffee to go, Weihnachtsbaum und Feuerwerk – alles, was bis gestern O.K. war, wird nun kritisiert. So viel Konflikt und weltweiter Protest wegen zwei Grad Erderwärmung? Muss das sein?

Ja, es muss!

Faszinierend findet Dr. Ingmar Hagemann das. Der Politikwissenschaftler untersucht, wie soziale Bewegungen entstehen. Die Umweltbewegung verfolgt er seit Jahren. „Sie ist mir ein Herzensanliegen.“ Mit FFF kommt neuer Schwung in die Szene, was Hagemann wohlwollend beobachtet. „Das Spannende ist, dass die Jugendlichen im Vergleich zur ursprünglichen grünen Bewegung sehr wenig fordern – nämlich nur die Einhaltung der Klimaziele des Pariser Abkommens von 2015 – aber diese Forderung fühlt sich viel radikaler an als zuvor.“ Warum?

„Das liegt am Widerspruch: Deutschland hat das Abkommen unterzeichnet, also muss es auch eingehalten werden; aber den versprochenen Wandel will die Mehrheit nicht, denn er wird unbequem. Hinzu kommt, dass da Schüler*innen stehen, die erst einmal unverdächtig wirken, sich aber enorm engagieren. Diese Kombina­tion hat es so noch nicht gegeben.“

Klimastreik: global und jung

2019 fand auf der Straße statt. In Hongkong, Frankreich, Algerien oder im Sudan protestierten Zehntausende. Korrupte Langzeitherrscher, Unterdrückung von Frauen, Misswirtschaft, Rentenreform – die Gründe für den Aufschrei, sie waren so unterschiedlich wie die Kulturen selbst. Ob es bei Protesten bleibt oder sich jeweils ein soziales Phänomen daraus entwickelt, wird sich zeigen. Beim Klima­streik könnte es so kommen, denn er ist vor allem: global und jung.

„Das Spannende ist, dass die Jugendlichen im Vergleich zur
ursprünglichen grünen Bewegung sehr wenig fordern.“

Protest ist nicht neu. Passte einem etwas nicht, machte man auch früher schon den Mund auf. So wurde in Deutschland in den1960ern und 70ern gegen das verstaubte Hochschulwesen, die große Koalition, den Vietnamkrieg und die fehlende Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit protestiert, in den 80ern kam der Umweltschutz dazu. Neue Parteien entstanden aus Bewegungen, die sich gegen die etablierten Volksvertreter richteten. So protestierten die 68er stark gegen die SPD, die grüne Bewegung war deutlich vor den Grünen aktiv.

Später näherten sich dann Protestler und Parteien an; die Politik repräsentierte immer mehr die persönliche Haltung. Heute hingegen stehen die wenigsten Parteien für ein stark abgegrenztes Programm – mit Folgen: „Aktuell tendieren die Deutschen stärker dazu, ihrem Protest selber Luft zu machen. Sie demonstrieren passgenau – da, wo es ihnen wehtut.“

Global mobil machte in den letzten Jahren nur das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Ordentlich Radau kam dabei aber auch von NGOs, Verbraucherschutz und Gewerkschaften. Bei FFF beschlossen die Jugendlichen selbst, dass Schulstreik fürs Klima zwingend ist. Heute verabreden sie sich weltweit über die
Sozialen Medien. Sie posten, teilen, liken die Bilder ihres Protests und zeigen: Da geht was, komm‘ mach auch mit!

Die Erwachsenen, die sie nicht ernstnehmen und sich grundlos angegriffen fühlen, haben sie oft gegen sich – durch Beharrlichkeit und Ausdauer aber immer öfter auch für sich gewonnen. Denn: Kann es wirklich falsch sein, hinter der Forderung zu stehen, mehr auf wissenschaft­liche Fakten denn auf Behauptungen zu hören?
Zerstörerisches Handeln müssen sich die Generationen vorhalten lassen, zerstörerisches Unterlassen soll nicht auch noch dazukommen.

Das und die Zukunftsangst der Jungen ist der Antrieb einer immer größer werdenden Bewegung. Sie läuft klassischerweise nicht nach einem Plan oder Muster ab, sie ist nicht institutionalisiert oder ideologisch, aber: „Greta Thunbergs symbolischer Schulstreik passte genau in diese Konstellation“, so Hagemann. Einen Auslöser sieht er in der 17-jährigen Schwedin nicht, vielmehr den Beginn einer Protest-Dynamik. „Schüler*innen fühlen sich von Greta Thunbergs Aktion und ihren Forderungen inspiriert. Sie übernehmen den Schulstreik als Protestform, weil sie mit Hilfe der Streikidee ihre eigene Perspektive auf die Gegenwart und damit ihre Forderungen passgenau ausdrücken können.“

Was wird aus FFF?

Was Greta und ihre Fans wirklich erreichen können, das weiß auch Wissenschaftler Ingmar Hagemann nicht. Ein Blick auf die Umweltbewegung zeigt: Gleichzeitig mobilmachen und polarisieren ist nicht neu. Aus den USA schwappte sie Anfang der 1970er Jahre herüber, in den 80er Jahren fand sie riesigen Anklang. Die Sensibilisierung für den Umweltschutz wirkt bis heute – auch weil immer mehr Probleme dazugekommen sind.

Ganz so erfolgreich, wie es sich die Bewegung selbst vorgestellt hat, lief es allerdings nie: „Sie stellten Industriegesellschaft, Kapitalismus und Marktkonsum grundsätzlich infrage. Aber diese Perspektive etablierte sich nicht in der Bevölkerung, denn die konnte sich mehrheitlich keine Alternative zum Kapitalismus vorstellen“, erklärt Hagemann. Etabliert hat sich heute ein Kompromiss aus Wachstum, Markt und Umweltschutz. Der tut keinem weh, löst aber auch nicht die Frage, wie sich vorausschauend mit der Umwelt im bestehenden System umgehen lässt. „Viele Probleme haben sich sogar verschärft, und dieser Widerspruch treibt die grüne Bewegung bis heute an. Es ist kein Ende in Sicht.“

Hagemann findet es gut, dass sich auch seine Studierenden für das Thema begeistern und sich beispielsweise beim Protest im Hambacher Forst einbringen. Er freut sich auf das, was da noch kommt. „Was von FFF bleiben wird, ist eine Generation, die früh gelernt hat, was Teilnahme und Protest bewirken können. Wahrscheinlich werden einige von der Politik enttäuscht werden, aber einfach aufgeben werden die meisten sicherlich nicht, selbst wenn die FFF-Proteste abflauen.“

Foto: picture alliance/imageBROKER/Rupert Oberhäuser

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