Besser als Dr. med. Maschine
Was kann Künstliche Intelligenz (KI), was langjährige medizinische Erfahrung nicht kann? Bei dieser Frage wird das Lächeln von Professor Felix Nensa noch strahlender. Der Radiologe freut sich sichtlich, darauf eine Antwort zu geben. Ein Gespräch über das neue Essener Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin, kurz IKIM. Ein Gespräch über Möglichkeiten, Grenzen und Vertrauen.
von Katrin Koster
„KI hilft dem Arzt, besser und effizienter zu sein, ersetzt ihn aber nicht“, betont Felix Nensa. Er leitet eine von aktuell vier Arbeitsgruppen mit insgesamt rund 130 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die genau das in unterschiedlichen Vorhaben beweisen und in die Praxis umsetzen wollen. Das junge Team arbeitet im IKIM fachübergreifend zusammen. Mit viel Lust aufs Neuland und wohl wissend, auf welche Skepsis maschinengestützte Diagnostik und Behandlung mitunter treffen. Nensa: „Wir wollen Vertrauen aufbauen und zeigen, wie KI Medizin wieder menschlicher macht.“
Menschlicher, mit Hilfe von Maschinen? Für den Professor ist das kein Widerspruch: „Indem Routinen und Abläufe automatisiert werden, sparen die Fachleute wertvolle Zeit. Diese können sie dann auch für persönliche Gespräche nutzen. Und wenn Ressourcen optimal eingesetzt werden, steht das ganze System auch finanziell gut da.“ Ein zentraler Aspekt beim heutigen Krankenhausmanagement. Doch wie muss man sich das vorstellen?
Drei Beispiele aus IKIM-Projekten
Szenario I: Es ist Feiertag, das Wetter wird gut, die Menschen gehen aus, setzen sich aufs Rad, Motorrad oder Pferd und – brauchen mehr Blut. Denn statistisch gesehen passieren dann mehr Unfälle, was die kostbare Ressource gerade an freien Tagen noch begehrter macht. Wo lagern wie viele Konserven mit welchem Verfallsdatum und welchen Blutgruppen? Nicht nur bei diesem IKIM-Projekt geht es um große Datenmengen, die auf Knopfdruck ausgewertet werden..
Blutspenden lassen sich so optimal verteilen und zeitnah einsetzen; das hilft ebenso bei geplanten Operationen oder bei Engpässen eines Krankenhauses. Mittels einer neuen Smartphone-App sollen bestimmte Menschen gezielt zur Spende motiviert werden, damit später genau die Blutgruppe vorhanden ist, die gebraucht wird.
„Wir wollen Vertrauen aufbauen und zeigen, wie KI Medizin wieder menschlicher macht.“
Professor Felix Nensa
Szenario II: Patient Max Müller ist erleichtert; er kann heute das Krankenhaus verlassen, wartet nur noch auf den Brief mit der Diagnose und weiteren Therapieempfehlungen. Wer dies schon mal erlebt hat, weiß, wie lange sowas dauern kann. Damit keine kostbare Zeit verrinnt, wird die KI hier zum automatisierten Briefeschreiben genutzt: Sie führt alle wesentlichen Informationen zusammen, das medizinische Personal schaut abschließend drauf. „Im Idealfall wird das Schreiben direkt an die hausärztliche Praxis übermittelt. Wir arbeiten zusätzlich daran, dass der Inhalt von einer KI zugleich in eine laienverständliche Sprache übersetzt wird“, macht Felix Nensa das Bild noch runder.
Szenario III: Eine Transplantation steht an, eine Leberlebendspende. Millimetergenau markiert die Fachärztin den Bereich, der entnommen werden soll – genau so wenig, dass die Person, die spendet, möglichst schnell wieder auf den Beinen ist und so viel, dass das Organ in den neuen Körper passt bzw. optimal funktioniert. Bei all der Feinarbeit darf die Lebervene nicht beschädigt werden. „Ein aufwändiges ‚Malen-nach-Zahlen‘, das eine KI viel besser berechnen und erfassen kann. Innerhalb weniger Sekunden wertet sie zudem Bilder aus dem Computertomographen aus und liefert wichtige Hinweise zum geplanten Eingriff“, weiß Nensa. Auch das spart Zeit und menschliche Arbeitskraft.
Im IKIM gibt es etliche solcher Projekte, die medizinische Fragen beantworten helfen, etwa zum Mikrobiom oder zur Diagnose von schwarzem Hautkrebs. „Künstliche Intelligenz verändert die Medizin – wenn wir es zulassen – in einem positiven Sinn. Denn sie erkennt hochkomplexe Zusammenhänge und Muster leichter. Was dabei hilft, Behandlungen viel individueller und dadurch wirksamer zu machen“, fasst Nensa zusammen.
Relevant für fast alle medizinischen Disziplinen
Mit diesen Beispielen klärt sich die Eingangsfrage fast von allein. Denn im IKIM geht es nicht um „oder“, sondern um „und“. Es geht darum, medizinische Expertise und KI bestmöglich zu verknüpfen, Routinen zu verkürzen und damit mehr Raum für eine individuelle Medizin zu schaffen.
Ein weiterer Baustein: die Ausbildung. Informatik und Medizin wirken seit Längerem zusammen, die entsprechende Software muss deshalb auch das medizinische Personal von morgen kennen. „Sonst wird KI zum Rohrkrepierer“, so Professor Nensa. „Als Arzt sollte ich meinen Patient:innen gut erklären können, warum die Daten genau diese Operation nahelegen und nichts anderes.“
Welche Möglichkeiten bietet die Künstliche Intelligenz in der Medizin und wo sind ihre Grenzen? Das wird wissenschaftlich analysiert, weiterentwickelt und zügig für den Alltag nutzbar gemacht. Mit Neugier, Zuversicht und immer auch mit einer großen Portion Skepsis. „Wir übernehmen nicht einfach das, was die Algorithmen uns anzeigen, sondern hinterfragen grundsätzlich, ob das stimmig ist – und wo wir noch mehr von unserer Erfahrung einfließen lassen sollten“, betont Felix Nensa.
Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM)
Gegründet im Februar 2020, ist das Institut deutschlandweit eines der ersten seiner Art. Es gehört zur Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und zur Universitätsmedizin Essen, sitzt im Essener Girardethaus und wächst stetig. Derzeit sind acht Professuren neu eingerichtet, drei davon bereits besetzt.
Es gibt ein DFG-finanziertes Graduiertenkolleg und fünf Nachwuchsgruppen. Rund 130 Personen arbeiten interdisziplinär zusammen; sie stammen aktuell aus 15 Ländern, von A wie Argentinien bis V wie Vietnam, und bringen viel Fachwissen mit – aus der Informatik, der Biochemie, der Mathematik, Jura u.v.m.
Foto: Universitätsmedizin Essen