Nichtstun bringt viel
Ein Nickerchen im Schatten des Heuschobers, beide Schuhe von den Füßen gekickt – auf van Goghs Gemälde „Siesta“ wirkt die Pause so friedlich und selbstverständlich. Doch diese Zeit des Auftankens ist bedroht: von unserer Rastlosigkeit, dem Leistungsdruck und ja, auch von der Digitalisierung. Ein Plädoyer fürs Nichtstun, für erfrischende Pausen.
Von Katrin Koster
Mit der Morgensonne ging es früher aufs Feld. Wenn die Kraft nachließ, kam die Frühstückspause. Mittags war es genauso: Nach der körperlichen Anstrengung erholten sich unsere Ahnen am Feldrand. Nur so war die schwere Arbeit zu schaffen. Mit der Industrialisierung wurde es düster: 16 Stunden täglich schuften – sogar sonntags –, selbst Kinder mussten zwölf Stunden arbeiten. Die Maschinen bestimmten den Takt, individuelle Pausen gab es nicht.
„Unsere heutigen Arbeitsschutzbestimmungen sind mit Blut geschrieben“, stellt Dr. Anja Gerlmaier fest. Mit ihrem Team am IAQ (Institut Arbeit und Qualifikation) forscht sie seit zwei Jahrzehnten zur Arbeits- und Organisationspsychologie. „Erst nach zahlreichen Unfällen, körperlichen Dauerschäden und frühen Todesfällen hat man damals eingesehen, wie wichtig Pausen sind.“ Weil die Kindersterblichkeit so hoch war, wurden 1839 bei Zehn-Stunden-Schichten Pausen von 1,5 Stunden gesetzlich vorgegeben.
Hamsterrad
Inzwischen haben wir Acht-Stunden-Tage, doch die sind eng getaktet: Oft jagt eine Aufgabe die nächste, wir vergessen zu trinken und zu essen. Nur noch schnell ein Telefonat, nur noch eine E-Mail, nur noch kurz eine Abrechnung oder Reparatur machen… Dieses Hamsterrad ist genauso kräftezehrend wie früher die Feldarbeit. Allerdings hören wir nicht mehr auf unseren Körper, gönnen uns keine Ruhephasen. Studierende lernen Tag und Nacht, Promovierende gehen auch sonntags ins Labor und in der Verwaltung oder im Service gibt’s nine to five manchmal nur auf dem Papier. Laut Gesetz sind ab sechs Stunden Arbeit 30 Minuten Pause vorgeschrieben. Doch die lassen nicht wenige ausfallen.
Mit krassen Folgen: Immer mehr gehen krankheitsbedingt in die Frührente, chronische Schmerzen und psychische Erkrankungen nehmen zu. Wie können wir gegensteuern? „Wir sollten schon vormittags kurz abschalten, wenn wir uns noch tatkräftig fühlen und obwohl es gerade so gut läuft – nach 90 Minuten einfach mal fünf bis zehn Minuten etwas anderes tun“, so Arbeitspsychologin Gerlmaier und meint damit nicht den Blick aufs Smartphone. „Die kleine Pause macht’s: Sie steigert unsere Produktivität um bis zu 30 Prozent.“
Einfach kurz hinlegen
Gerade im Homeoffice lässt sich das wunderbar umsetzen: Blumengießen, die Spülmaschine ausräumen, sich mal kurz auf dem Sofa oder dem Bett ausstrecken. Bitte was?! „Genau so reagieren die Menschen in unseren Stresspräventionsseminaren. Sie sind entsetzt, wenn ich das vorschlage, denn viele nehmen zuhause sogar ihr Telefon mit aufs Klo – es könnte ja der Chef anrufen“, weiß die Expertin und beschreibt die klassische Schere im Kopf: Im Büro quatschen wir ohne schlechtes Gewissen mit den Kolleg:innen, im Homeoffice treibt uns das Gefühl, ständig produktiv und erreichbar sein zu müssen. Manche glauben, sie sollten die Zeit des Wäscheaufhängens nacharbeiten, aber mit dem Smalltalk am Arbeitsplatz machen wir das ja auch nicht.
Mittagszeit, Arbeitszeit?
Zu lange, zu intensiv, zu wenig Pausen: So fasst Gerlmaier das moderne Arbeiten zusammen. Wobei es interessanterweise keinen Unterschied macht, wie alt man ist oder in welcher Branche man arbeitet. Durchackern – das tun nicht nur Manager:innen. Auch in der Pflege oder im Einzelhandel fallen Pausen oft weg.
Selbst wenn es nur ein schnelles Brötchen ist – das sollte besser im Grünen oder zumindest nicht am Schreibtisch oder in der Werkstatt gegessen werden. Denn ein anderer Ort tut gut. Bei Arbeitsessen oder Lunchvorträgen fehlt solch ein Perspektivwechsel. Gerade bei Videokonferenzen ist es inzwischen Usus, die Mittagszeit gleich mit zu nutzen.
Hier seufzt die Fachfrau: „Das grenzt an Körperverletzung. Im Zuge der Digitalisierung geht das kollektive und bewusste Pausemachen verloren. Wer heute Online-Tagungen plant, sollte am besten nur 45-Minuten-Blöcke vorgeben. So bleibt Raum für einen Plausch zwischendurch oder das Durchatmen auf dem Balkon.“ Ihre eigenen Seminare baut sie immer so auf und für Gerlmaier ist es das schönste Lob, wenn sie danach hört, dass sich alle frisch und bereichert fühlen.
Abschalten
Führungskräfte können das vorleben – und vorgeben. Klare Regeln helfen, denn nur, wer sich regelmäßig erholt, ist leistungsfähiger. „Wenn ich abends oder am Wochenende mal eben meine E-Mails checke oder mich telefonisch zum nächsten Tag abstimme, verkürze ich meine Regenerationszeit drastisch. Damit ist nichts gewonnen. Körper und Kopf kommen nicht mehr zur Ruhe; Schlafstörungen, Herz-Kreislauferkrankungen sowie Depressionen nehmen zu“, verweist Gerlmaier auf zahlreiche Studien. „Sie belegen: Das Nicht-abschalten-Können entwickelt eine neue Dramatik.“ Die Ermüdung schleppt man immer weiter, von einem Tag zum nächsten.
Adrenalin abbauen
Ratsam sei es, auf die biologische Uhr zu achten: „Zwischen 8 und 12 Uhr sind wir am leistungsfähigsten, dann kommt das Suppenkoma – auch wenn man nichts isst, was übrigens keine gute Idee ist, denn es macht die Sache nur noch schlimmer.“ Ab etwa 15 Uhr gibt’s den nächsten Leistungsschub, den man dann viel besser nutzen kann.
Und wenn man trotzdem einen Hänger hat, was tun? Einfach mal rumhüpfen, den guten alten Hampelmann machen. Egal, wo man gerade ist. Wer sich bewegt, lockert Verspannungen, vertieft die Atmung, baut Adrenalin ab. Dieses Stresshormon sorgt dafür, dass wir angespannt im Fluchtmodus festhängen, obwohl wir doch eigentlich nur krumm vor einem Monitor hocken.
Freier Kopf
Rituale sind gut: die bewegte Mittagspause, achtsames Atmen, sich zu gemeinsamen Auszeiten verabreden. Die Bäume vor dem Fenster oder ein Bild zu betrachten, kann ebenfalls mental entlasten. Vielleicht eine Kopie von van Goghs „Siesta“ – als freundliche Erinnerung daran, wie wohltuend Nichtstun sein kann.
Anja Gerlmaier ist promovierte Arbeitspsychologin und seit 2002 am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) tätig. Die 49-Jährige erforscht, wie sich unsere Arbeitswelt im Kontext von Demographie und Digitalisierung verändert. Sie selbst arbeitet seit 16 Jahren regelmäßig im Homeoffice und gibt Seminare zu gutem Pausenmanagement.
Foto: Florian Gerlmaier
van Goghs Siesta als Vorbild: Kleine Pausen steigern unsere Produktivität um bis zu 30 Prozent.
Foto: picture alliance/Heritage-Images