Tempo, bitte!
Mobilität darf auch Spaß machen, sagt Professor Dirk Wittowsky und denkt dabei nicht ans Auto.
Von Ulrike Bohnsack
Wenn Dirk Wittowsky von seinem Dortmunder Zuhause zur Uni nach Essen pendelt, ist er gleich inmitten seiner Arbeit. Zuerst nimmt er das Rad, dann den Zug, das letzte Stück legt er zu Fuß bzw. mit der U-Bahn zurück. Das ist entspannter, als sich über die verstopfte Autobahn zu quälen, und er kann beobachten, was sich tut, was fehlt im Ruhrgebiet mit seinen fünf Millionen Einwohnern. Eine intelligente Verkehrssteuerung unter anderem.
Billiger, vernetzter, schadstoffärmer: Die Diskussion, wie man die ‚Öffis‘ attraktiver und die
Städte lebenswerter macht, begleitet Wittowsky, seitdem er vor über 20 Jahren angefangen hat, zur Mobilität zu forschen. Viel zu wenig ist bis heute passiert. „Der Verkehr ist das Aschenputtel der deutschen Klima- und Energiepolitik“, stellt er fest. Und die Menschen lieben ihr Auto mehr denn je: 2019 waren hierzulande mehr als 57 Millionen Kraftfahrzeuge angemeldet, davon allein 47 Millionen PKW (NRW: 10 Millionen). Ein Rekord.
Foto: UDE/Frank Preuß
Dirk Wittkowsky
Der gebürtige Duisburger ist seit 2019 Professor für Mobilitäts- und Stadtplanung an der UDE. Hier studierte er Bauingenieurwesen, promovierte dann in Karlsruhe und war Projektleiter für integriertes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement in der Region Rhein-Main. Später bewertete er bei der Deutschen Bahn Konzepte für
innovative Mobilitätsangebote. Ab 2012 leitete er eine Forschungsgruppe am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund. Er ist im Wissenschaftlichen Beirat des Zukunftsnetzes Mobilität NRW, der das Land berät.
Ein Auto besitzt Wittowsky schon, doch das nutzt er nur „gelegentlich für größere Einkaufsfahrten und für schwer erreichbare Ausflugsziele mit der Familie.“
Ihn frustriert die Entwicklung nicht. „Im Gegenteil, ich bin hochmotiviert“, betont der 48-Jährige. „Es kommen gerade viele Impulse für einen Wandel – von der Politik, den Kommunen und den Bürger*innen. Die meisten Menschen, vor allem die jungen, wollen kein Weiter so. Sie möchten, dass der öffentliche Raum wieder ein Ort der Kommunikation, des Lebens und des Wohlfühlens ist.“
Wie aber schafft man es, die autogerechten Städte umzubauen? Wittowsky fordert von Politik und Stadtplanung mehr Pioniergeist und von uns allen – natürlich – ein Umdenken. „80 Prozent der städtischen Infrastruktur steht für die nächsten 20 bis 30 Jahre. Man kann also nur in den bestehenden Flächen neu denken. Wir müssen die Stadt als Reallabor sehen, mehr ausprobieren, auch wenn nicht immer alles klappen wird. Darin sind andere Länder, z.B. Dänemark, mutiger.“ Dazu gehört, die Leute an den Planungen zu beteiligen, ihnen Alternativen zu zeigen, die sie testen können, und umweltfreundliches Verhalten über Anreizsysteme zu belohnen.
„Der Verkehr ist das Aschenputtel der deutschen Energie- und Klimapolitik.“
Mehrere Verkehrsmittel zu nutzen, also multimodal unterwegs zu sein, ist zurzeit kompliziert, umständlich, zu teuer, und manchmal auch zeitraubend; sich in all den Systemen von Car-, Bike-Sharing, Bus und Bahn zurechtzufinden, eine große Hürde. Wittowskys Idee ist ganzheitlich und das Handy die Mobilitätszentrale: Die unterschiedlichen Verkehrssysteme sind intelligent vernetzt. Es gibt eine App für das gesamte Revier, die in Echtzeit die Angebote verknüpft und clever steuert. Es gibt ein simples Tarifsystem, eine zentrale Abrechnung. „Mobilität sollte nachhaltiger sein und darf auch Spaß machen.“
Und warum nicht die Digitalisierung stärker ausschöpfen? Mehr Home-Office, E-Government, E-Learning entlasten volle Straßen. „Da sind wir in Deutschland eher am unteren Bereich des Möglichen.“
Die Autos müssen weniger werden, selbst wenn sie künftig Wasserstoff oder Strom tanken. Daran geht für Dirk Wittowsky kein Weg vorbei. Denn sie verursachen 60 Prozent des Verkehrs in den Städten und stehen tagsüber doch die meiste Zeit herum. Die Parkraumbewirtschaftung sieht er als zentrale Stellschraube: „Wir können es uns nicht mehr leisten, kostenlose Parkplätze für so viele PKW anzubieten. Die erste Reihe nach dem Bürgersteig sollten wir anders nutzen.“
Er kann sich auch eine Ruhr-City-Maut vorstellen für den Durchgangsverkehr auf den Stadtautobahnen. Zum Schutz von Anwohner*innen seien in sensiblen Bereichen Einfahrverbote für umweltschädliche Fahrzeuge denkbar. Absolut notwendig hingegen sei dies: den städtischen Verkehrsraum neu organisieren und Umweltspuren einrichten, die Rädern, dem ÖPNV und Fahrgemeinschaften vorbehalten sind. Der über 100 km lange Radschnellweg fürs Revier müsse schnell kommen – derzeit stockt die Planung. Und warum bei seiner Finanzierung nicht auch über ein umweltorientiertes Pendlerbudget nachdenken?
„Es geht nicht darum, das Auto zu verdammen“, stellt der Forscher klar. Aber zurzeit sei die Mobilität vor allem auf den privaten PKW ausgelegt. Künftig müsse man die Alternativen stärken für eine Stadt der kurzen Wege: „Arbeiten, Einkaufen, Freizeit müssen wieder näher zusammenkommen.“ Er findet, in den Innenstädten, den zentralen Quartieren und den Begegnungsräumen sollte der PKW-Anteil im einstelligen Prozentbereich liegen.
„Es geht nicht darum, das Auto zu verdammen.“
Wittowsky weiß: All diese Maßnahmen sind unpopulär. Noch. Viele befürchten, nicht mehr unabhängig und flexibel zu sein. Er glaubt das nicht. „Die Leute werden nach einer Zeit die Vorteile sehen.“ Früher hätte auch niemand Fußgängerzonen oder Kreisverkehre haben wollen. Man müsse Mobilität umdefinieren und den Verkehr an den drei Vs ausrichten: vermeiden, verlagern, verträglich abwickeln.
Dass wir heutzutage mobiler sind, sei übrigens ein Irrtum: „Historisch betrachtet ist die Zeit, die wir in Mobilität investieren, sehr konstant geblieben – zirka 80 Minuten bei drei bis vier Wegen pro Tag, so Wittowsky. „Was sich geändert hat, ist der Aktionsradius zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Die Verkehrsmittel sind immer schneller geworden, wir fahren immer mehr, fliegen zu viel, wir sind in der Freizeit unternehmungslustig abseits des Wohnortes; und wir transportieren große Mengen an Gütern.“
Die Folgen sind bekannt – für das Klima weltweit und für die Luft- und Lärmbelastung in den Ballungsräumen. „Das Schwierige ist, die liebgewonnenen Gewohnheiten zu verändern – unter Zeitdruck. Deswegen müssen wir mehr Tempo in unsere Maßnahmen bringen. Dafür muss stadtübergreifend gedacht werden, auf vielen Ebenen.“ Wie realistisch ist die Kampagne 25 Prozent? Einige Kommunen, darunter Essen, wollen erreichen, dass bis 2035 die Anteile der Wege, die mit PKW, Bus/Bahn, Rädern sowie zu Fuß zurückgelegt werden, gleich sind – also je ein Viertel. Ambitioniert findet Dirk Wittowsky das: „Wenn wir es schaffen, in den nächsten 10 bis 20 Jahren den Autoverkehr in einer Metropole wie dem Ruhrgebiet auf unter 40 Prozent zu reduzieren, ist das schon ein Erfolg.“ Dennoch ist er zuversichtlich: „Wir haben den industriellen Strukturwandel gemeistert, dann sollten wir auch die Mobilitätswende schaffen.“
Illustration: Julius Klemm